The Audiophile Choice

David Liebman und Richie Beirach: „Eternal Voices“

Jazzline/Delta Music 2018 (CD)

David Liebman: Sopran und Tenorsax, Flute
Richie Beirach: Piano

Wenn gestandene Jazzmusiker reine Klassikeinspielungen veröffentlichen, ist das häufig mit einem gewissen Risiko verbunden. Dem traditionellen Klassikhörer ist es dann manchmal nicht perfektionistisch und notengetreu genug, und er sieht nicht, dass es eben gerade nicht darum geht, eine noch perfektere, partiturgenaue Einspielung abzuliefern, sondern um eine eigene Neuinterpretation. Der puristische Jazzhörer vermisst hingegen oft die swingenden und improvisatorischen Anteile.

Doch David Liebman (Jahrgang ’46, Sax und Flöte) und Richie Beirach (Jahrgang ’47, Piano) spielen schon seit Jahrzehnten zusammen und sind erfahren genug, um nicht in diese Falle zu gehen. Das Programm dieser Doppel-CD besteht zwar bis auf eine Liebman-Komposition ausschließlich aus Stücken des Klassik-Kanons – von Bach und Mozart über Beethoven, Fauré, Scriabin und Schönberg, bis zur zweiten CD, die nur Bartók-Streichquartette enthält – aber die Partituren sind hier nur Ausgangsbasis für faszinierende Interpretationen, die sich improvisierend sehr weit von der Notierung entfernen können, dabei aber den Kern oder das Wesen der Stücke nie ganz aus den Augen verlieren.

Natürlich sind beide Musiker jederzeit in der Lage, die Musik, wie z.B. eine Pavane von Fauré oder eine Sonate von Beethoven, auch ganz „klassisch“ auf höchstem Niveau zu spielen. Aber das ist nicht die Intention, es geht um die respektvolle Anverwandlung des Materials, auch mit der Freiheit der spontanen Neukomposition, so dass man die Stücke schon sehr gut kennen muss, will man sie in dieser reduzierten Instrumentierung und den ungewöhnlichen Arrangements wiedererkennen. Aber das wäre auch nur eine bildungsbürgerliche Rezeption, die hier keine Rolle spielt; die Stücke gewinnen einen ganz eigenen Charakter, und wer das klassische Original hören will, hat ja genügend Auswahl an anderen Einspielungen. Nicht alle Interpretationen sind gleich zwingend und überzeugend, aber – wen wundert es – besonders die Improvisationen zu den Streichquartetten Nr. 1 bis 6 von Béla Bartók sind großartige Beispiele, wie intuitiv Liebman und Beirach aufeinander hören und so aus alter Musik etwas Neues entsteht. So ist es eine sehr schöne Jazz-CD, kein Zweifel, fernab von jedem Crossover-Kitsch, und wenn musikalisch und aufnahmetechnisch ein  so hohes Niveau eingehalten wird, gibt es keinen Grund auf unserer Seite nicht auch eine digitale Einspielung zu empfehlen.

 

Thomas Neuhauser / April 2019

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